Meiningen im thüringischen Landkreis Schmalkalden-Meiningen, zugleich größte Stadt mit 20800 (2012) Einwohnern hatte sich das Westfälisch-Lippische Institut für Turn-und Sportgeschichte zum Kennenlernen ausgesucht und dazu den Westfälischen Turnerbund eingeladen. 24 Teilnehmer aus 11 westfälisch-lippischen Orten machten sich am 27. Juni 2013 für vier Tage unter Führung von Prof. Dr. Norbert Urbainsky und Ingrid Fischer auf den Weg . Ein ausführlicher Bericht, geschrieben vom Archivar Hans-Günther Faszies, kann hier nachgelesen werden.
Bericht über die Turnfahrt 2013 nach Meiningen von Hans-Günther Faszies
Nach Erreichen der Werrastadt seit 982 und ab 1680 Haupt-und Residenzstadt bis ins 20.Jahrhundert war man beeindruckt von Fachwerkbauten und Bürgerhäusern in großer Zahl. Ein Kenner der Stadt-und Landesgeschichte im Dreieck von Thüringen, Bayern und Hessen verstand es beim Stadtgang den Hörerkreis nur Interessantes, auch Wichtiges erinnerungsfest zu vermitteln. Und nichts sollte entgehen über die Zeit der Herzogtümer Sachsen, Sachsen-Altenburg und Sachsen-Gotha sowie letztlich Sachsen-Meiningen von 1583 bis 1920, dem dann „Land Thüringen“ folgte.
Nach dem Aussterben der Leinenweberei im 30jährigen Krieg waren nur noch 1300 Einwohner in Meiningen seßhaft und ein Erholen von den Auswirkungen setzte erst im 19.Jh. ein. Werrabahn und Anschluß an das deutsche Eisenbahnnetz mit Einrichtung einer Hauptwerkstatt der Preußischen Staatsbahn, heute Dampflokwerk führten zum wirtschaftlichen Aufstieg und Bevölkerungszuwachs.
Die Herzöge zwischen 1682 und 1920 bauten das Residenzschloß Elisabethenburg und gründeten die noch heute bestehende Hofkapelle. Der Englische Garten entstand und 1831 begann das erste Meininger Hoftheater mit seinen Spielzeiten. Ein verheerender Innenstadtbrand 1874 hatte einen Wiederaufbau im klassizistischen Stil zur Folge. Großbanken ließen sich nieder und machten Meiningen zu einem der bedeutendsten Finanzstandorte Deutschlands. Das Theater machte von sich reden in weiten Teilen Europas. Mit dem Dirigenten und Komponisten Hans von Bülow wurde die Meininger Hofkapelle ein europäisches Spitzenorchester.
Eine bedeutende Kunst-und Kulturstadt ist Meinigen geblieben. Während des Aufenthaltes der Turnfreunde hatte die Gesellschaft das große Glück, in der Max-Reger-Musikschule /Elisabethenburg den Pianisten Julius Gorus, Gewinner des internationalen Franz-Liszt-Wettbewerbs in Weimar, am Flügel zu hören. Seine Zugabe am Schluß mit Schumanns „Träumerei“ riß zu großem Beifall hin auch zum Tränenlauf.
Im Dörfchen Bauerbach tagsdarauf nach 30minütiger Busfahrt galt Friedrich Schiller die Aufmerksamkeit. Ein kleines Landgut war ihm von einer in Stuttgart verwitweten Henriette von Wolzogen als Aufenthalt überlassen worden. „Die Räuber“ sein Erstlingswerk wurde in Mannheim uraufgeführt und das Schiller sich nicht entgehen ließ. Als Soldat feindliches Ausland zweimal ohne Genehmigung bereist, brachte erhebliche Probleme mit und erzwangen eine Flucht, die nach Bauerbach führte. Als ausgebildeter Regimentsmedikus war ihm nichtmedizinische Schriftstellerei versagt worden und 14-Tage-Arrest haben zu hoher Verschuldung geführt. Der nunmehrige Deserteur lebte 23jährig von September 1782 bis Juli 1783 im Gutshof, erarbeitete viele Vorhaben für die Zukunft. Er beendete das Trauerspiel, später unbenannt in „Kabale und Liebe“. Nach dem Thüringer Exil wurde Schiller Theaterdichter in Mannheim und das Bauerbacher Arbeitszimmer bildete die Grundlage zur „Nationalstiftung Schiller“ im Jahre 1953. Heute ist es das Schiller-Museum in Bauerbach.
Schloß Landsberg nahe Meiningen, einstige Landwehranlage im 11. Jh. war nächster Besuchsort. Im Rittersaal in bildlicher Anwesenheit der Hl.Elisabeth u.a. war der Tisch zum Mittagessen gedeckt. Eine Führung durchs Schloß, das 1793/1836 im neugotischem Stil nach dem Vorbild englischer Adelssitze errichtet wurde, folgte. Dieses Bauwerk sowie weitere Meininger Objekte wurden in den vergangenen zwanzig Jahren durch die gemeinnützige Stiftung „Meininger Baudenkmäler“ liebevoll saniert und rekonstruiert und einer schaffenden Nutzung zugeführt
Am Abend hieß es: „Ach ich hab sie ja nur auf die Schulter geküßt“. Millöckers vieltausendmal gespielte Operette seit der Wiener Uraufführung im Dezember 1882 stand auf dem Programm. „Bravo, Bravo! Es geht ganz famos“ hat enorm viel Freude trotz Rebellion, Gefängnis in Bühnenszenarien gemacht. Den imposanten Staatstheaterbau ergänzte 1829 Herzog Georg II. im Giebel mit den Worten: „Dem Volke zur Freude und Erhebung“.
Olympiastützpunkt, Dom, Tradition waren Schlaglichter des vorletzten Tour-Tages. Seit 1971 ist der Schießsport auf dem Suhler Friedberg beheimatet. Heute zählt das Zentrum zu den modernsten Anlagen der Welt, hat die besten Trainings-und Wettkampfbedingungen, wo überdies die Sportler sich ausgesprochen wohl fühlen. Der Bundesstützpunkt Sportschießen ist auch Olympiastützpunkt Thüringen und Treffpunkt Leistungskader aus dem gesamten Bundesgebiet. Zu diesen modernsten Final-und Trainingsständen kommen Nationalmannschaften aus der ganzen Welt und behinderten Sportschützen sind alle Übungsmöglichkeiten gegeben.
Um die Sportart „Gewichtheber“ ist das Zentrum für Land und Bund erweitert worden. Dem Nachwuchs gilt die besondere Aufmerksamkeit.
Für beide Sportarten ist auch ein Sportler-Internat mit begleitender Berufsausbildung angeschlossen.
Leitmotiv Rolf Schumann, des Weltbesten im Schießsport (3xOlympiasieger-4xWeltmeister-13x Europameister-39xWeltcupsieger-13xGesamtWeltcupSieger), „GEH NICHT AM ZIEL VORBEI“ hat die Turnfreunde letztlich mit seinen gewählten Jesusworten „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ zum Dom St.Marien und zur Kirche St.Severi nach Erfurt geführt. Es war Bonifatius, der 724 die Urkirche auf dem Untersberg errichten ließ. Imposant der mächtige Hochaltar, dem Jahre 1697 zugeordnet und von Johann Andreas Gröber aus Heiligenstadt im Zeitalter des Barock errichtet. Auch die Farbverglasung hinter dem außergewöhnlich breiten Altar ist eine Freude zu sehen. In wenigen Sätzen über den Bau, Innenraum, die Ausstattung und Glasmalereien zu schreiben ist unmöglich, der sehr zu empfehlen ist, Zeit für einen Besuch zu nehmen.
Die benachbarte ursprüngliche Klosterkirche des Benediktiner-Nonnenklosters erhielt 836 die Reliquien des Hl. Severus u.a., fiel der Brandschatzung 1080 zum Opfer. Nach Stadtchroniken wurde unmittelbar danach wieder gebaut und Kirche und Konventbauten allein den Chorherren überlassen. Weitere Brände und Neubauten folgten und schließlich kam es zur Auflösung des Kollegiatstifts im Jahre 1803. Die Drei-Turm-Kirche mit dem Beinamen „turmreiches Erfurt“ ist in der Folgezeit stark in Mitleidenschaft gezogen werden und ist heute mit Marien- und Blasiuskapelle eine sehenswerte und erlebnisreiche Pfarrkirche.
Ein kleiner Stadtgang folgte, der beendet wurde mit einem Erfurt-traditionellen Essen bestehend aus Ente, Klöße, Rotkohl.
Schließlich und wiederum ein Höhepunkt der Turnfahrt 2013 nämlich Schloß Wilhelmsburg in Schmalkalden mit Führung durch die Ausstellung „Aufbruch in die neue Zeit“. Hessens Landgraf Wilhelm IV. veranlasste den Schloßbau, der von 1585 bis 1590 errichtet wurde. Wunderschöne Fresken aus der Zeit um 1225, älteste Zeugnisse deutscher Profanmalereien, befinden sich heute in originalgetreuen Kopien um die Durchgänge des Museums. Museal wiedergegeben wird die Spaltung der abendländischen Kirche in Konfessionen, das durch Martin Luther im Jahre 1517 beginnt. Der Schmalkaldische Bund, Krieg, Fürstenrevolution, Religionsfriede werden behandelt und lassen Baugeschichte sowie Landesgeschichte in beeindruckender Weise verständig werden. Am 23. Mai 1590, dem Tag der Schloßkirchenweihe, erklang erstmals die Orgel. Sie steht auf gleicher Ebene gegenüber dem damaligen Fürstenstuhl, zählt heute zu den bedeutendsten noch spielbaren Renaissance-Orgeln in Europa.
Ein Kurz-Besuch der 874 erstmals erwähnten Siedlung „villa Smalacalta“, heute Schmalkalden, schloß sich an.
Oberwerries war dann Ziel und wurde erreicht über Landstraßen, durch Dörfer und Städte Thüringens zuletzt Kasseler Autobahn in den späten sonntäglichen Nachmittagsstunden.