Tradition und Zukunft sind für den Westfälischen Turnerbund keine Gegensätze, sondern gehören eng zusammen und bedingen einander. Das zeigte sich einmal mehr bei der Meisterehrung und Neujahrsmatinee, die am ersten Januar-Wochenende in der Landesturnschule Oberwerries festlich begangen wurden.
Dabei konnte WTB-Präsident Michael Buschmeyer wieder zahlreiche Gäste aus Sport, Politik, Wirtschaft und Kultur begrüßen, die der Einladung gefolgt waren und damit ihre Verbundenheit mit dem Westfälischen Turnerbund zum Ausdruck brachten.
Meisterehrung 2012
Anerkennung für die Meisterinnen und Meister
Zunächst standen bei der Meisterehrung 176 Sportlerinnen und Sportler im Mittelpunkt, die bei den Wettkämpfen auf nationaler Ebene in 2011 das Siegertreppchen erreicht oder sogar international die deutschen Farben erfolgreich vertreten hatten.
Die Tatsache, dass diese Aktiven 11 Sportarten repräsentierten, spiegelt die sportliche Vielfalt im Westfälischen Turnerbund wider. Eine Vielfalt, „auf die wir stolz sind“, wie WTB-Präsident Michael Buschmeyer in seiner Begrüßung betonte, „die aber leider auch dazu führt, dass wir in der Sportwelt nicht so wahrgenommen werden, wie es die Aktiven verdient hätten“.
Dank an die Sponsoren und Partner
Nicht so beim WTB, der wohl weiß, wie man seine Meisterinnen und Meister ins rechte Licht stellt. „Dabei würden wir gerne noch mehr für den Leistungssport tun, wenn wir es von den zur Verfügung stehenden Mitteln her könnten. Aber daran müssen und werden wir weiter arbeiten“, gab Michael Buschmeyer an die Adresse der Aktiven zu verstehen und dankte in diesem Zusammenhang allen Partnern, die den WTB dabei unterstützen, insbesondere der Sportstiftung NRW und dem Sparkassenverband Westfalen-Lippe.
Welche Früchte diese Partnerschaften hervorgebracht haben, zeigte sich vor allem bei den Ehrungen der Besten – der Turnerin und dem Turner des Jahres, der Trainerin und dem Trainer des Jahres, der Mannschaft des Jahres sowie der Sonderehrung.
Leider konnten die Turnerin des Jahres, Nadine Jarosch (Detmolder TV) und der Trainer des Jahres, Michael Gruhl (LLZ Kunstturnen Detmold), diese Auszeichnung nicht persönlich entgegennehmen, da sie in Boston/USA weilten, wo die deutschen Turnerinnen auf Einladung von Cheftrainerin Ulla Koch mit einem zehntägigen Trainingslager in die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2012 in London starteten.
Zunkunft des Leistungssports im WTB
Womit wir bei der Zukunft wären, die für den Leistungssport im Westfälischen Turnerbund durchaus rosige Zeiten verspricht, wenn wir unsere Talente auf ihrem leistungssportlichen Weg so begleiten, dass sogar olympische Träume wahr werden können. Was dazu notwendig ist, fasste WTB-Präsident Michael Buschmeyer in seinem Schlusswort mit dem folgenden Sinnspruch zusammen: „Wenn Du für ein Jahr planst, säe Korn. Wenn Du für ein Jahrzehnt planst, pflanze einen Baum. Wenn Du für eine ganzes Leben planst, erziehe und bilde Menschen aus und weiter!“
Neujahrsmatinee 2012
Blick in die Zukunft
Zukunftsorientiert war auch die Neujahrsmatinee, in der sich Dr. Michael Weiß in seiner Funktion als Vizepräsident für Verbandsentwicklung im Deutschen Turner-Bund impulsgebend mit dem Thema auseinandersetzte: 200 Jahre Turnbewegung – was kommt jetzt?
Eine berechtigte Frage, nachdem wir im vergangenen Jahr in vielen Veranstaltungen den Beginn der Turnbewegung vor 200 Jahren gefeiert haben. Wenn wir nun wissen wollen, ob und wie die Turnbewegung die nächsten 200 Jahre meistern wird, lohnt sich nach Dr. Weiß ein Blick zurück, „sozusagen ein Blick auf die Erfolgsfaktoren in der Vergangenheit: Warum hat es die Turnbewegung so lange durchgehalten? Oder: Was sind die Lehren, die wir aus der Geschichte des deutschen Turnens ziehen können?“
Drei zentrale Aspekte
Drei Aspekte griff Dr. Weiß heraus, die ihm als zentral erscheinen und uns Wegweisung für die Zukunft sein könnten.
- Erstens: „Die deutsche Turnbewegung ist wandlungsfähig und hat es immer wieder geschafft, sich den veränderten Rahmenbedingungen anzupassen und attraktive, zeitgemäße Angebote zu bieten.“ Von den Freiübungen auf der Hasenheide, wo sich Männer mit geringelten Turnanzügen körperlich ertüchtigten und Turnpferde noch einen Pferdekopf hatten, ist es der Turnbewegung immer wieder gelungen, „sich neu zu erfinden, Angebote zu entwickeln und so ein differenziertes Programm von Sportarten im Turnen, in der Gymnastik und in den Turnspielen zu entwickeln.“ Die weitaus stärksten Veränderungen habe es dabei wohl im letzten Viertel der Turnbewegung gegeben, nämlich „ein wesentlich zunehmendes Bewusstsein der Wichtigkeit der Bewegung für die Gesunderhaltung, eine Professionalisierung der Sportangebotslandschaft mit neuen Akteuren und damit auch neuen Konkurrenten für die Turnvereine und eine sich verändernde Lebens- und Arbeitswelt, die neue Formen für das ehrenamtliche Engagement erfordern“. Aber immer wieder habe sich die Turnbewegung an die neuen Gegebenheiten angepasst.
- Zweitens: „Die deutsche Turnbewegung war immer mehr als ein Sportangebot. Die deutsche Turnbewegung war immer eine Wertegemeinschaft, in der sich Menschen zusammenfanden, die mehr verband als nur das gemeinsame Sporttreiben.“ Als Beleg dafür führte Dr. Weiß an, dass die sportliche Betätigung schon bei Jahn in sozialer Gemeinschaft erfolgte, was den Grundstein für die heutige Sportvereinslandschaft gelegt habe. Weitere Indizien seien die einheitliche Sportkleidung; die Beitragsfreiheit für sozial schwächere Turner sowie das turnbrüderliche „Du“ als Ausdruck von Gleichheit und Brüderlichkeit.
- Drittens: „Die deutsche Turnbewegung hat es immer geschafft, Menschen eine Heimat zu geben.“ Dieser Aspekt knüpfe unmittelbar an den vorangegangenen an: „Schon bei Turnvater Jahn ging es nicht nur darum, sich körperlich zu ertüchtigen, sondern es ging auch schon immer darum, Menschen eine Heimat in der Turngruppe zu geben. Eine Heimat auch für sozial schwächer und sonst isolierte Menschen.“Wenn wir von diesen drei für die Geschichte der Turnbewegung zentralen Aspekten nach vorne schauen, stellt sich nach Dr. Weiß die Frage: „Was können wir hieraus für die Zukunft ableiten?“
Seine Antworten lauten wie folgt: Die Wandlungsfähigkeit der deutschen Turnbewegung, die sich als Stärke herausgestellt hat, gilt es zu erhalten. Von den Beispielen, die Dr. Weiß zur Veranschaulichung seiner Aussage anführte, sei eines herausgegriffen: „Wir leben heute in einer Welt, in der sich unsere Vereine mit vielen anderen Anbietern messen müssen, in denen die Gewinnung von Menschen für unsere Angebote nicht zuletzt aufgrund des Bevölkerungsrückgangs in Deutschland schwieriger wird und in der bei vielen Menschen die Schulbildung (Stichwort Ganztagsschule) und später die Erwerbstätigkeit einen weitaus größeren Stellenwert einnimmt als früher und wesentlich mehr Mobilität und Flexibilität erfordert. Als das sind Faktoren, die es für unsere Turnvereine nicht unbedingt leichter machen, ihren Auftrag zu erfüllen.“ Darüber den Kopf in den Sand zu stecken, bringe uns aber nicht weiter. Vielmehr gelte es, sich diesen Herausforderungen zu stellen, was bedeute, „noch klarer zu kommunizieren, was wir den Menschen, die sich bei uns selbst sportlich oder als ehrenamtliche Helfer engagieren wollen, anbieten können“.
Dafür werde es entscheidend darauf ankommen, „mit klaren Botschaften und Marken an die Öffentlichkeit zu treten“. Wie wir es mit den drei Dachmarken „Kinderturnen“, „Turnen“ und „Gymwelt“ schon getan haben und damit unsere Wandlungsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben.
Die zweite Stärke, dass die Turnbewegung immer mehr war als ein Sportangebot, sondern sich immer auch als eine Wertegemeinschaft verstanden hat, muss nach Dr. Weiß zur Folge haben, dass wir auch in Zukunft über den Tellerrand der bloßen sportlichen Betätigung hinaus schauen und unsere Rolle als gesellschaftspolitische Akteure wahrnahmen sollten. Zum Beispiel bei Themen wie der Gesunderhaltung unserer Gesellschaft, der Schaffung von geschützten Lebensräumen für das Heranwachsen unserer Kinder oder der Frage, wie wir im Alter leben wollen.
In diesem Zusammenhang lobte Dr. Weiß ausdrücklich die Idee des Westfälischen Turnerbundes, bei dieser Neujahrsmatinee anstatt der üblichen Grußworte von Vertretern aus Sport und Politik das Forum zu nutzen, um den Dialog miteinander in Form einer Talkrunde zu fördern.
Nicht zuletzt ist nach Dr. Weiß auch die Tatsache, dass die Turnbewegung mit ihren Vereinen es in den vergangenen 200 Jahren immer wieder geschafft habe, Menschen eine Heimat zu geben, ein wesentlicher Charakterzug, der die Zukunftsfähigkeit der Turnbewegung sichern kann. „Der Turnverein kann etwas, was Fitnessstudios nicht können: Er kann jungen Menschen eine Heimat geben, ein soziales Netz, in dem der Einzelne aufgefangen und getragen wird. Ein Gefühl der Geborgenheit, des Zusammengehörens und des Aufgehobenseins.“ Diese Bindung sei es, die manche moderne Menschen heute bewusst meiden, aber sicherlich in der Zukunft vermissen werden, „weil der Mensch nicht dafür geschaffen ist, allein zu Hause sein Dasein zu fristen und allenfalls via E-Mail, Chat oder Videokonferenz mit anderen in Kontakt zu treten. Wir Menschen brauchen den live-Kontakt mit anderen Menschen und den erleben wir wohl in wenigen Situation so intensiv wie im Sport.“
Dieses „Heimat geben“ sei das Pfund, mit dem die Turnvereine auch in Zukunft wuchern können und müssen, um im Wettbewerb mit kommerziellen Anbietern bestehen zu können.
Talkrunde
In der sich anschließenden Talkrunde mit Ulrike Wäsche (Bürgermeisterin der Stadt Hamm), Monika Korn (stellv. Landrätin des Kreises Soest), Steffen Mues (Bürgermeister der Stadt Siegen), Bärbel Dittrich (Vizepräsidentin des Landessportbundes NRW) und Kai Hegemann (Vorsitzender des Hammer SportClubs 2008) wurden die Ausführungen von Dr. Weiß aufgegriffen und aus unterschiedlichen Sichtweisen betrachtet. Dabei waren sich die Beteiligten einig, dass zunächst einmal die gegenwärtigen Herausforderungen (wie Ganztagsschule G8 oder Mitgliedsbeiträge) bewältigt werden müssten, bevor man in die Zukunft blicken könne. Hier hätten die Turn- und Sportvereine alle Hände voll zu tun, weil sie von außen in immer kürzeren Abständen mit neuen Aufgaben konfrontiert würden.
Deshalb schloss WTB-Präsident Michael Buschmeyer als Moderator der Talkrunde die Neujahrsmatinee mit dem Wunsch, dass alle die Zeit haben mögen, um die anstehenden Aufgaben in Ruhe sowie mit der notwendigen Intensität und Leidenschaft bewältigen zu können, dass darüberhinaus aber noch genügend Zeit für jeden selbst bleibe. „Und möge es uns bei all unserem Tun und Handeln gelingen, die Seelen der Menschen mitzunehmen!“
Text: H.-J. Dörrer
Fotos: H.-J.Dörrer/K. Bessmann-Wernke